Bildende Kunst LINDA PERTHEN Vita Publikationen Impressum

 




Publikationen


2018/19
Linda Perthen, Malerei (Katalog)

2018
Linda Perthen, Mentoring Projekt Rostock
(Portfolio)

2017
Der blinde Fleck, Malerei, Leipzig/Berlin
(Katalog/Dokumentation)
under construction, intermedia class Alba
D´Urbano, HGB Leipzig (Dokumentation)

2016
Hier & Jetzt, Kunstpreis für Nachwuchskünstler
in Mecklenburg-V
orpommern (Katalog)
Troubled Water, Malerei, Berlin
(Faltbare Karte)

2015
Lichtung,
intermedia class Alba D´Urbano,
HGB Leipzig (Dokumentation/Magazin)
distanzlos, unnahbar, kunstverein der gegenwart,
Leipzig (Katalog)

2014
Land in Sicht, Ministerium für Wissenschaft, Bildung
und Kultur M-V, Schloss Güstrow (Katalog)
Fünf Positionen der Gegenwart in Mecklenburg-Vorpommern
, Kunstsammlung Neubrandenburg
(Katalog)

2013
Lie On King, Malerei & Video, Greifswald (Heft)
Medialier Ausnahmezustand, Stettin (Katalog)

2012
Sequenzen 2008-12, Greifswald (Katalog)

2011
A Chance To Take, Greifswald (Fotobuch)
Insomnale review – Wachzustände, Edition
Hohes Ufer Ahrenshoop (Heft)


Texte zur Kunst



Text: Susanne Burmester
Katalog: Hier & Jetzt, Kunstpreis für Nachwuchskünstler in M-V, 2016

Text: Julia Kittelmann
Karte: Troubled Water, 2016

Text: Daniel S. M. Pizarro
Katalog: distanzlos, unnahbar, kunstverein der gegenwart, Leipzig, 2015

Text: Prof. Michael Soltau
Katalog: Fünf Positionen der Gegenwart in Mecklenburg-Vorpommern, 2014

Text: Gwendolin Lübbecke
Katalog: Lie On King, 2013

Laudatio: Dr. Katrin Arrieta
Ausstellung: Sella Hasse, Joachim Hukal, Linda Perthen –
Drei Künstlergenerationen aus Mecklenburg-Vorpommern
, 2012

Text: Prof. Michael Soltau
Katalog:
Sequenzen, 2012

 

 

 

 













Linda Perthen bewegt sich selbstverständlich in unterschiedlichen Medien. Malerei, Zeichnungen, Objekte, Fotografie, Grafik und Animationsfilm setzt sie gleichermaßen ein. Die Grundlage bilden oft eigene Fotografien oder Bildnotizen, die mit dem Handy aufgenommen wurden. Sie löst das Ringen der Bildelemente im Werk löst nicht auf, sondern bringt diese zum Schwingen. Form und Farbe, Raum und Fläche, die subjektive Spur und das gesetzte Raster agieren miteinander und lassen die Betrachter teilhaben an einem Prozess der Unruhe. Es ist diese Qualität, die ihr Werk mit der digitalen Welt verbindet und darin äußerst zeitgenössisch macht. Sie wechselt zwischen gesetzter Ordnung und der freien Form und schafft Werke, in denen es an den Schnittstellen und Überlagerungen besonders interessant wird.
In der Ausstellung zeigt sie Werke aus ihrer aktuellen Werkgruppe Troubled Water. Unterschiedliche Formate werden auf verschiedene Weise präsentiert.
Sie hängen oder stehen an die Wand gelehnt. Was sie eint, ist das Wechselspiel zwischen einem Ordnungsprinzip und dessen Auflösung – ein „Balanceakt zwischen zwei Zuständen“, wie Julia Kittelmann es nennt. Indem ihre Bilder Spur und Markierung, Code und Decodierung, Raster und organische Form gleichwertig nebeneinander setzen, hinterfragt Perthen nicht nur die Möglichkeiten zeitgenössischer Malerei, sie findet auch zu einer Auseinandersetzung mit universellen philosophischen Fragen nach dem Verhältnis von Mensch und Welt. Auch wenn sich die Werke der Künstlerin durch eine große formale Leichtigkeit auszeichnen, sind sie doch Ergebnisse zahlreicher Überarbeitungen. Ein Bild scheint „fertig“ zu sein, wenn der größtmöglich Zustand der Unruhe erscheint.
Es sind daher eher Zustände, die sie zeigt, als eine harmonisch austarierte Komposition.

Susanne Burmester
Galeristin und Kuratorin




Troubled Water – Beunruhigende Ordnung
Ein Raum. Kein klarer, konturierter Raum, sondern ein Raum, den man nicht richtig greifen kann. Ist es ein eigenständiger Raum oder ist es ein Durchgang? Dazwischen Malereien, die diesen Eindruck noch verstärken wie die zwei großen Leinwände "Almost Invisible
I + II". Vertikale, weiße Jalousien, die den Innenraum vom Außenraum trennen, indem sie Sichtschutz bieten. Doch Schutz bieten sie keinen, denn durch die weichen biegsamen Formen kann jederzeit etwas hindurchbrechen. Diesen Moment des Durchbruchs erleben wir auf "Almost Invisible I". Tentakelartige schwarze Formen durchdringen die vertikalen Lamellen mit einer spitzen Bedrohlichkeit – die erste Vorhut von etwas Größerem, was sich auf "Almost Invisble II" massiver vorschiebt. Ein beachtlicher Teil der Lamellen ist nun weg gedrängt, das schwarze Gebilde sucht sich seinen Weg in das Bild, in den Raum. Die Malerei verharrt in einer Zwischensituation.
Wir wissen nicht, ob sich die Form durchsetzen wird oder von den Lamellen der Jalousie wieder zurückgedrängt wird. Dieses Zwischenstadium ist symptomatisch für Linda Perthens malerische Serie "Troubled Water": ein Balanceakt zwischen zwei Zuständen, mit dem man auf teilweise fast zwei Meter umfassenden Leinwänden konfrontiert ist. Die Weltoffenheit auf der einen Seite, so dass die zurückliegenden geografischen und politischen Abgrenzungen langsam unsichtbar werden, gleichzeitig gibt es die alltäglichen Ordnungsstrukturen, die ein beunruhigendes Moment hinterlassen. Hindernisse, Verhüllungen, Abgrenzungen, Vorhänge und Zäune sind allgegenwärtiger denn je und scheinen nur ihrer reinen Zweckmäßigkeiten zu dienen. Verschließt sich der Mensch immer zunehmender, je größer die Bandbreite der Möglichkeiten ist? Die Arbeit „Troubled Water“ beziehungsweise „Unruhiges Fahrwasser“ thematisiert diese beunruhigende Ordnung, die in Zeichen moderner Lebensformen erscheinen. Die Serie zeigt diverse schematische Zeichen von Abgrenzungen, die entweder in ihrem Zustand verharren oder mit organischen Formen gebrochen werden. Digitale Codes, die auf hintergründig ablaufende Ordnungssysteme verweisen, werden mit grafischen Zeichen dekonstruiert.
Die 11-teilige Malereiserie knüpft an bereits entstandene Arbeiten an, die sich mit den Themen der Markierung (Demarkationen, 2012) und dem Einfluss des bewegten Bildes auf die Malerei (Unendliches Duell, 2014) auseinandersetzen. Ausgangspunkt für „Troubled Water“ war eine Sammlung von Filmsequenzen und Diafotografien aus Portugal und Lettland.

Julia Kittelmann
Freie Kuratorin




Verstecken und verschwinden
Linda Perthen (*1981), seit 2014 Meisterschülerin in der Klasse für Medienkunst von Alba D´Urbano, Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig, lebt und arbeitet in Berlin und Neustrelitz
Die Fotostrecke D-18374, die Postleitzahl eines Wohngebietes auf der Ostseehalbinsel Zingst, zeigt uns geradezu voyeuristische Hof-, Fenster-, Gartenzaun- und Eingangstüransichten privater Wohnhäuser.
Die Künstlerin späht durch Gartenzäune und Hecken hindurch, um Kompositionen in den verschiedenen Objekten zu entdecken, die zum privaten Raum der Bewohner gehören, wie etwa Fenster, Bäume, Sträucher, Kinderspielzeug oder Gartendekoration. Zwar haben diese Ansichten den Anschein, als wären sie konstruiert worden, doch wurden alle Motive tatsächlich so vorgefunden. Sie wirken wie die Kompositionen aus sehr kontrastreichen Objekten. Doch auf den Bildern scheint etwas nicht zu stimmen: Obwohl überhaupt keine Menschen zu sehen sind, haben wir – die Betrachter – das Gefühl, selbst beobachtet zu werden. Spielen wir etwa Verstecken, ohne es zu wissen?
Auf einer der Fotografien nähern wir uns dem Haus so sehr an, dass wir sogar die Spiegelung im Fenster erkennen können (Abb. 1) – demgegenüber kann man spüren, dass die Fotografin sich manchmal dennoch nicht recht traut, noch näher heranzukommen (Abb. 2). Auf einem anderen Bild sieht die Baumsilhouette wie eine Figur aus, die unsere Bewegungen streng überwacht (Abb. 3); sogar die Gartendekorationen stehen wie Wachhunde in Alarmbereitschaft, die nicht wissen, ob wir eigentlich vertrauenswürdig sind (Abb. 4).
Die Bildmotive sind von Perthen dabei so raffiniert gewählt, dass die Gegenstände eine gewisse Lebendigkeit erhalten.
Schließlich beschleicht einen das Gefühl, dass die scheinbar eigene Präsenz – unsere Anwesenheit als Betrachter – in der Szenerie stört. Gerade auf Zingst, eine Art Urlaubsparadies, wo die Anwohner und ihre Häuser sich in Bühnenbilder und Requisiten zum Gefallen der Touristen verwandeln, sind wir dennoch nicht willkommen. Man befindet sich hier an der Grenze zwischen Privatheit und Öffentlichkeit. Selbst die Häuser an sich stellen vielmehr beschützende Festungen dar als gemütliche Heime. Unsere Neugier wird zur Bedrohung und gleichzeitig fühlen wir uns von den Hausbesitzern, deren Anwesenheit für uns nicht sichtbar ist, ebenfalls bedroht, denn sie kontrollieren, dass wir diese Grenze nicht überschreiten. Aber warum solche Abgrenzung, warum dieser Rückzug? Und wieso fühlen wir, dass wir in einer verbotenen Zone stehen? Heutzutage gleichen manche Wohnviertel einer Festung, da sie weit weg vom Stadtzentrum errichtet wurden. Sie sind, genau wie die Fotografien Linda Perthens zeigen, Bunker gegen unerwünschte Besucher, Eindringlinge, die nicht zum Kreis der oder des Vertrauten gehören.
Die Urbanismus-Expertin Nan Ellin zufolge werden Städte immer mehr zu Gefahrenursachen, als dass sie als Zufluchtsorte vor Bedrohungen angesehen werden (Vgl. Bauman, Zygmunt: Liquid Life. New Jersey 2005, S. 73). Das bedeutet, dass die neuen Grenzen heute primär nicht zwischen Ländern errichtet werden, sondern innerhalb der Städte. Ein gutes Beispiel dafür ist ein Wohnviertel nahe Los Angeles in Kalifornien, das sogenannte ‘Desert Island’, das mit einem Graben von fünf Quadratmetern umgeben ist (Ebd.).
Am Anfang scheint die Bilderstrecke einfache Darstellungen unterschiedlicher Häuser und Gärten zu zeigen. Ansichten, die uns dazu anregen, die Häuser entdecken zu wollen. Tatsächlich sind sie Ausdruck von Unnahbarkeit und Verschlossenheit von Menschen, die sich isolieren wollen und die verschwunden sind. Sie verlassen ihre Gärten, ziehen sich zurück. Sie bleiben versteckt, bis man wieder losgeht, um sie weiter ihrem abgeschotteten Leben zu überlassen.

Daniel S. M. Pizarro
Freier Kurator, Galerieassistent




Bild Zeit Bild – Variationen des Jetzt
Linda Perthen ist Malerin. Sie überwindet den Gestus expressionistischer Malerei, indem sie sich der Geschwindigkeit der so genannten Neuen Medien stellt. Die Künstlerin erzeugt in ihren Videoarbeiten ein wechselseitiges Spannungsfeld von Stillstand und Bewegung, deren Entscheidungshintergrund der Betrachter eigentlich nie erfährt. Gerade das Zurücklassen des im Moment erreichten malerischen Zustands motiviert die Künstlerin zum weiterentwickeln aufeinander folgender Standbilder. Im Stop-Motion-Verfahren montiert Sie die fortlaufenden Stadien auf dem Weg zum vermeintlich endgültigen Bild zu einer assoziativen Collage. Mit ausgeprägtem Farbgefühl und traumwandlerischer Sicherheit werden intuitiv und präzise zugleich die Koordinaten für die notwendige Unterbrechung im fortreißenden malerischen und medialen Geschehen ermittelt. Der stetige Aufbruch ins Neuland von Farbe und ausdrucksstarker Zeichenhaftigkeit in Verbindung mit einer andauernden medienimmanenten Dynamik wirft einen fast melancholischen Blick auf das Bedürfnis des Malerin, den Zeitpunkt des richtigen Bildes nicht zu verpassen.
Linda Perthen widersetzt sich dem Gedanken an das Unwiederbringliche und gibt ihm gleichzeitig einen Raum in der potenziellen medienspezifischen Rückschau. Sie hält die jeweiligen Zustände fest ohne sie als Resultat erleben oder definieren zu wollen. Die Künstlerin begibt sich auf einen Reise ins „Strange Land“, so der Titel einer früheren Videoarbeit, auf der sie Einzelbilder im Wortsinn produziert, um sie sogleich der Kaskade eines dahin fließenden clusterartigen Assoziationsgewitters zu überantworten. Die unterlegten Klangcollagen unterstützten die Konkretion des Bildhaften und umschließen die Videomontage zu einem hermetischen Ganzen.
Wer nun meint, jedes einzelne Standbild könne bereits dem Anspruch an ein autonomes Gemälde genügen, macht es sich zu leicht. Die Künstlerin präsentiert in Neubrandenburg malerische Resultate, die nicht illustrative Stationen innerhalb des filmischen Prozesses dokumentieren. Sie wechselt gewissermaßen Straßenseite und Fahrtrichtung zugleich. Abermals begegnet Sie den Bildern der Videocollage als Beobachterin einer soeben erlebten Wirklichkeit, die es neu zu interpretieren gilt.
Ihre Videoarbeit „ Never Ending Duel “ deutet Linda Perthen als „Persönliches Duell gegen bestehende gesellschaftliche Muster, Strukturen und Abläufe. Es stehen sich zwei quadratische Felder gegenüber, die einander berühren, teilweise übereinstimmen und wieder auseinanderdriften.“ Hinweise, die ein zu Grunde liegendes dialektisches Prinzip ihrer künstlerischen Strategie verdeutlichen:
die simultane Durchdringung von Malerei und Medienereignis.

Michael Soltau
Professor für Medien und ihre Didaktik,
Caspar-David-Friedrich-Institut, Universität Greifswald




Lie On King
»Würdest du mir bitte sagen, in welche Richtung ich jetzt gehen muß?«
»Das hängt vor allem davon ab, wo du hin willst«, sagte die Katze.
»Wohin ist mir ziemlich egal – «, sagte Alice. »Dann kommt es nicht darauf an,
in welche Richtung du gehst.« »Hauptsache, ich komme überhaupt irgendwo hin«, ergänzte Alice.
»Keine Angst, das wirst du«, sagte die Katze, »du mußt nur lange genug gehen.«
Lewis Carroll, »Alice im Wunderland«

Ausgehend von malerischen Experimenten wagt sich Linda Perthen konsequent in eine eigenwillige Bildwelt vor. So wirft der Animationsfilm »Lie On King« den Betrachter unvermittelt in ein komplexes Ensemble der abstrakten und konkreten Formen und Strukturen – sie durchdringen sich, erwachsen auseinander, gehen ineinander über, werden gelöscht, verschwinden, um gleich darauf in neuer, veränderter Konstellation wieder zu erscheinen. Man lässt sich auf ein gelegentlich fast bedrohlich anmutendes Spiel der Texturen ein, das einen zu überfordern droht. Die Eigendynamik der sich ständig neu generierenden Linien, Schraffuren, Flächen, Be- und Entgrenzungen, Verwischungen, Übermalungen etc. nimmt den Betrachter völlig ein. Man stößt damit auf eine Komplexität, die undurchdringlich wie ein Wald, ein Dschungel scheint. Ein Dschungel der unserem alltäglichen Erleben, unserem Kontakt mit der Wirklichkeit nur allzu sehr ähnelt. Er führt uns einerseits unsere Überforderung angesichts des Chaos der auf uns einstürzenden Reize, Eindrücke und Erfahrungen vor. Andererseits verweist er uns genauso stark auf unser Bedürfnis auf ›Realität‹ mit eigenen Ordnungsmustern strukturierend zu reagieren. Nur so können wir uns unsere eigene Welt schaffen. Die Orientierungslosigkeit, aber auch die Freiheit, die sich daraus ergeben können, zeigen die Einzelfiguren der Bilder (Malerei, 2012). Linda Perthen hat sie in Anlehnung an den Animationsfilm erstellt. Sie scheinen die Verlorenheit und die Autonomie zu verkörpern, die sich angesichts der sich ständig wandelnden Realität
bilden. Doch trotz der fast undurchschaubaren Eigendynamik, die die Wirklichkeit zu entwickeln scheint und der wir nur bedingt Herr werden können, stricken wir auch selbst an ihr mit. Wir kreieren unsere Welt, die Geschichten, die unsere Identität und die der anderen ausmachen, wir ergänzen, selektieren – wir erzählen, wir verschweigen, wir lügen. Wir nutzen die Potentialität der Wirklichkeit, machen sie uns zu eigen, um unser Leben zu konstruieren – so tragen auch die Bilder in Linda Perthens Animationsfilm für sich genommen, das jeweils darauf folgende Bild bereits als Potentialität in sich. Allerdings mit kleinen Änderungen, die manchmal positiv in negativ, schwarz in weiß, klar umrissen in verschwommen, konkret in abstrakt und umgekehrt verwandeln können.

Gwendolin Lübbecke
Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Universität Kassel





Eröffnungsrede im Mecklenburgischen Künstlerhaus Schloss Plüschow am 21.7.2012 (Auszug)
Die Idee zu dieser Ausstellung ist die eines Künstlers: Das heißt, es steckt kein theoretisches Konzept und keine Erfolgsspekulation dahinter, sondern das Bedürfnis, Qualität in einem überraschenden Zusammenhang zu zeigen – die Möglichkeit nutzend, die dieses Haus bietet als ein Künstlerhaus, in dem der schöpferische Prozess im Mittelpunkt steht: Die geschützte Arbeitsatmosphäre soll Ungebundenheit ermöglichen und ermöglicht sie für viele, die hier tätig sind, auch. Es passt dazu und ist schön, dass eine Ausstellung wie diese den so aufgefassten Freiheitsrahmen erweitert, denn es hat etwas Ungebundenes, wenn man einfach nur zeigt, was man schätzt.
Gleichwohl ist die von Udo Rathke hier getroffene Auswahl künstlerischer Positionen weder willkürlich noch zufällig. Sie nimmt ein durch die Kraft des Einzelnen, aber auch durch die sich aufbauende Spannung, wie sie aus der jeweils ganz anderen Aura der Epochen erwächst, die in den Werken von Sella Hasse, Joachim Hukal und Linda Perthen anwesend sind. Es ist eine gleichsam integrierende Spannung, ein Schwingen von einem Beitrag zum anderen: Das Verschiedene korrespondiert auf eine Art, die man gar nicht so als Abfolge erlebt, sondern eher als Zusammenführung von Erlebnisvarianten in einem geistigen Raum, wo der Charme des Sinnlichen vor allem herrscht und erlaubt, dass auch die weiter zurückliegenden Visualisierungen von Welt als Gegenwart Platz greifen können. In der Zeit „zusammenzurücken“: Künstler beherrschen das besonders, denn sie sind auf ein Einverständnis mit den nicht mehr und den noch nicht Lebenden angewiesen: Es mag paradox klingen, aber das Verhältnis künstlerischer Arbeit zur Vergangenheit und zur Zukunft ist mehr als bloß eitel. Geschichte als Bezugsfeld urbar zu machen, ist etwas, das fortwährend einer allseitigen mentalen Überprüfung bedarf - und das geht nicht ohne Kunst – Kunst schafft eine Kontinuität, die in die Totale reicht und ist insofern, davon bin ich überzeugt, Teil der menschlichen Überlebensstrategie. Das so auszusprechen, wirkt vielleicht ein bisschen großspurig – es liefert aber in meinen Augen die Begründung dafür, dass es richtig ist, einen ästhetischen Bogen so zu schlagen, wie es hier in dieser Ausstellung geschieht.
(...)
Bei Linda Perthen, der gerade dreißigjährigen, aus Neubrandenburg gebürtigen Künstlerin – sie hat in Greifswald studiert - gibt es eins wie das Andere: das grafisch Geteilte, dadurch räumlich Werdende der Bildflächen und eine konträr dazu stehende malerische Konsistenz von Farbverläufen: Man hat den Eindruck, dass beide Methoden gleichsam dialektisch und hoch reflektiert eingesetzt sind - jetzt im Dienst eines Weltbildes, das zwar immer noch aus der Wirklichkeit schöpft, sie aber nicht mehr geschlossen interpretiert, sondern aus verschiedenen, gleichzeitig zulässigen Blickwinkeln und Erlebnisperspektiven, die sich nicht zuletzt auch durch ein multimediales Arbeiten entfalten können. Die „Streifen Land“ und die „Demarkationen“, von denen ihre Bilder und Objekte sprechen, schließen das Wunschbild kosmischer Gesamtheit als geistige Erfahrung gleichwohl immer noch ein. Ihr „Strangeland“ ist denn auch eher wunder- als furchtbar: ein Ornament in der Zeit, wo Aufstieg und Niedergang, das miteinander Verstricktsein von Werden und Vergehen in schönsten Farben gefeiert werden.

Dr. Katrin Arrieta
Kunsthistorikerin und Kuratorin




Stop-in-motion – Bilder im Übergang
Die künstlerische Arbeit von Frau Perthen manifestiert sich in der heterogenen Bandbreite einander berührender und gleichsam im Dialog miteinander stehenden Genres. In Photographie, Malerei, Graphik, Installation und nicht zuletzt im Animationsfilm entstehen parallele Welten, die sich autonom definieren, einander aber sensibel in semipermeabler Kohärenz bedingen.
Photographische Beobachtungen im deutsch-polnischen Grenzgebiet verarbeiten konkrete Momente des Übergangs. Urbane Landschaften mit ihren Menschen an der Demarkationslinie zweier Kulturen verweisen in expressivem Farbklima auf das bevorzugte Colorit der malerischen Collagen im Animationsfilm, während die strenge Binnengliederung der Bilder die strukturelle und kompositorische Strategie der raumbezogenen Objekte erahnen lässt. Streifenschemata der frühen malerischen Arbeiten explizieren die in additiv geschichteten Kartonagen gefertigten plastischen Installationen.
Das Innehalten im malerischen Prozess charakterisiert die experimentellen Videoanimationen von Linda Perthen. Sie montiert die fortlaufenden Stadien auf dem Weg zum vermeintlich endgültigen Bild zu einer assoziativen Collage. Mit ausgeprägtem Farbgefühl und traumwandlerischer Sicherheit werden intuitiv und präzise zugleich die Koordinaten für die notwendige Unterbrechung im fortreißenden malerischen und medialen Geschehen ermittelt.
Der stetige Aufbruch ins Neuland von Farbe und ausdrucksstarker Zeichen-haftigkeit in Verbindung mit einer andauernden medienimmanenten Dynamik wirft einen fast melancholischen Blick auf das Bedürfnis der Malerin, den Zeitpunkt des richtigen Bildes nicht zu verpassen.
Linda Perthen widersetzt sich diesem Gedanken an das Unwiederbringliche und gibt ihm gleichzeitig einen Raum in der potenziellen medienspezifischen Rückschau. Sie hält die jeweiligen Zustände fest ohne sie als Resultat erleben oder definieren zu wollen. Die Künstlerin begibt sich auf eine Reise ins »Strange Land«, auf der sie Einzelbilder im Wortsinn produziert, um sie sogleich der Kaskade eines dahin fließenden clusterartigen Assoziationsgewitters zu überantworten. Die unterlegten Klangcollagen unterstützen die Konkretion des Bildhaften und umschließen die Videomontage zu einem hermetischen Ganzen. Malerei, Klang und Narration verschmelzen zu einer multimedialen Akkumulation von poetischer Dichte.

Michael Soltau
Professor für Medien und ihre Didaktik,
Caspar-David-Friedrich-Institut, Universität Greifswald